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Kann man Kriege noch gewinnen?

Angesichts der militärischen Siege, die während der letzten Jahre der Welt immer wieder verkündet wurden, scheint die Frage, ob man heute Kriege noch gewinnen kann, kaum gerechtfertigt. Und doch zeigt sich besonders in Afghanistan und im Irak immer deutlicher, dass der militärische Erfolg alleine noch längst keine Probleme löst. Im Gegenteil: Solange der Sieger die Bevölkerung des besiegten Landes nicht für sich gewonnen hat, kann man nicht von einem erfolgreichen Krieg sprechen. Und den Frieden gewinnt man nur, indem man die Menschen des besiegten Landes von der Richtigkeit der eigenen Ziele überzeugt.

Zu präsent ist noch die Erklärung von Präsident George W. Bush auf dem Flugzeugträger USS "Abraham Lincoln", als er unter dem Motto "Mission Accomplished" den Sieg im Irak-Feldzug verkündete. Und nur eineinhalb Jahre zuvor hatten die amerikanischen Streitkräfte die Taliban-Regierung in Afghanistan "entscheidend geschlagen". Selbst Slobodan Milosevic musste 1999 im Kosovo-Konflikt einlenken, nachdem sein Land einige Wochen hindurch dem Bombardement durch die NATO ausgesetzt war.

Aber gerade bei diesen drei genannten Konflikten wurden die ursprünglich gesetzten Kriegsziele bei weitem nicht erreicht: - Im Irak werden viereinhalb Jahre nach der offiziellen Beendigung der Kampfhandlungen immer noch amerikanische Soldaten getötet und die schweren Auseinandersetzungen unter den Irakern erschüttern das Land.

- In Afghanistan kontrolliert die von den Amerikanern eingesetzte Regierung gerade die Hauptstadt Kabul. In den Provinzen herrschen die Kriegsherren, und der Drogenhandel blüht.

- Im Kosovo konnte ein friedliches Zusammenleben zwischen Serben und Albanern bis heute nicht erreicht werden.

Diese Entwicklungen werfen die grundsätzliche Frage auf, welche Erfolgschancen Kriege im 21. Jahrhundert überhaupt noch haben.

Das Wesen des Krieges

Tatsächlich konnten in der Vergangenheit ganze Epochen der Weltgeschichte durch Schlachten und Kriege entschieden und gestaltet werden: Durch Kriege wurden Länder erobert und Reiche gegründet, von Alexander dem Großen bis zu Napoleon. Die Sieger dieser Schlachten gingen als bedeutende Gestalten in die Weltgeschichte ein und erfreuten sich einer allgemeinen Heldenverehrung. In Kriegen wurden aber nicht nur territoriale Gewinne errungen, sondern auch ideologische und selbst religiöse Auseinandersetzungen wurden mit Waffengewalt entschieden. Der Sieger bzw. Herrscher bestimmte demnach auch das Glaubensbekenntnis seiner Untertanen ("cuius regio, eius religio"), und selbst im Kalten Krieg wurde die militärische Macht noch zur Abstützung der eigenen ideologischen Überzeugung eingesetzt.

Doch worum ging es bei dem Versuch, Konflikte mit militärischen Mitteln lösen zu wollen? Worin bestand durch die Jahrhunderte das Wesen des Krieges? Eben darin, dass eine Seite versuchte, der anderen Seite durch physische Gewalt ihren Willen aufzuzwingen, wie schon General Carl von Clausewitz feststellte. Kriege waren demnach ein Gewaltakt, "um den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen". Die physische Gewalt, verkörpert durch die Streitkräfte, war also das Mittel, und der Zweck lag darin, beim Gegner ein bestimmtes Verhalten zu erreichen.

Jahrhundertelang genügte daher der militärische Erfolg, um nicht nur Herrscher zu besiegen, sondern auch um deren Untertanen zu beherrschen. Territorien wechselten ohnehin auf verschiedenste Weisen immer wieder ihre Herrscher. Tatsächlich war es für die Bevölkerung weitgehend irrelevant, welchem Herzog oder König sie gerade Untertan war. Zwar haben immer wieder Mächte, vor allem Kolonialmächte, versucht, ihren Aktionen ein humanitäres Mäntelchen umzuhängen (die "Mission civilicatrice" der Franzosen sowie "The white man’s burden" der Engländer sind Beispiele dafür). Aber entscheidend war letztlich, dass ganze Kontinente erobert werden konnten und dass sich der geschlagene Feind bedingungslos unterwerfen musste, ohne dass der Bevölkerung in den besiegten Gebieten irgendein Mitspracherecht bei der Gestaltung ihrer eigenen Zukunft eingeräumt worden wäre.

Was hat sich geändert?

Schon die Kriege des 20. Jahrhunderts brachten Ergebnisse, mit denen auch die Sieger nicht gerechnet hatten, und Entwicklungen, die sie nicht beeinflussen konnten. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass die Bevölkerung allgemein mündiger geworden war und damit auch jene der besiegten Staaten. Durch den Ersten Weltkrieg wurde die Welt nicht für die Demokratie gerettet, wie das erklärte Kriegsziel der USA bei ihrem Eintritt in den europäischen Krieg 1917 gelautet hatte. Vielmehr entstanden in der Folge dieses Krieges überall in Europa Diktaturen, und das durch den "großen Krieg" verursachte Elend sowie die Massenarbeitslosigkeit in der Folge des Ersten Weltkrieges waren wesentliche Ursachen für den Zweiten Weltkrieg.

Auch die Sieger des Zweiten Weltkrieges mussten sich letztlich Herausforderungen stellen, die sie so nicht beabsichtigt hatten: Danzig wurde nicht befreit und fiel unter eine neue Diktatur. Die Kommunisten bedrohten ganz Europa, und Großbritannien sowie Frankreich konnten den Zerfall ihrer Kolonialreiche nicht verhindern.

Während es in der Vergangenheit noch genügt hatte, eine Armee zu besiegen, um Völker zu beherrschen, so hat sich dies mit dem Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, mit dem Fortschreiten der Demokratie und mit der Bildungsgesellschaft grundlegend geändert. Dazu entstand auch in vielen Ländern eine andere, distanziertere Haltung zum Krieg überhaupt. In Westeuropa etwa gilt eine bewaffnete Auseinandersetzung nicht mehr als legitimes Mittel zur Durchsetzung von nationalen Interessen.

Heute muss man daher, will man einen Krieg erfolgreich beenden, nicht nur die gegnerische Armee schlagen, sondern man muss vielmehr auch die Bevölkerung, die Menschen des besiegten Landes gewinnen. Es geht also darum, nicht nur den Krieg, sondern auch den Frieden zu gewinnen. Dabei erhebt sich die Frage, ob dies nicht ohne vorherige militärische Auseinandersetzung leichter zu bewirken wäre.

Zum Unterschied von jenen Perioden, in denen der Krieg ein akzeptiertes Mittel einer jeden Außenpolitik war und in denen militärische Siege auch die Herrschaft über die Besiegten bedeuteten, hat es grundlegende Veränderungen gegeben: - Die Haltung zum Krieg hat sich geändert. Jahrhunderte hindurch war der Krieg ein integraler Teil der zwischenstaatlichen Beziehung. Wenn Verhandlungen scheiterten oder auch nur ein Herrscher seine Macht vergrößern wollte, dann kam es zum Krieg. So sehr diese Haltung für manche Länder auch heute noch gelten mag, so wurde doch der Krieg als Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen für viele westlichen Staaten undenkbar.

- Die Menschen wurden mündiger - das gilt für die Sieger, aber auch für die Besiegten. Kriegserklärungen werden nicht mehr einfach hingenommen, sondern die Begründungen für Kriege werden hinterfragt. Auch Friedensbedingungen werden nicht mehr einfach akzeptiert. Selbst wenn eine Regierung besiegt ist, verlangt die Bevölkerung das Recht auf eine Mitgestaltung der eigenen Zukunft. Dass aus Untertanen Staatsbürger wurden, gilt auch in der Außenpolitik.

- Hinzu kommt eine auf den verschiedensten Ebenen negative Haltung zum Krieg. Eine umfassende Literatur schildert die Schrecken des Krieges, Protestbewegungen begleiten jede Kriegserklärung, und die von Regierungen offiziell genannten Kriegsgründe werden intensiv auf ihre Richtigkeit geprüft. Ein Krieg, der ohne die Legitimation der Vereinten Nationen geführt wird, gilt für viele von vornherein als ungerechter Krieg.

- Die Haltung zum Heldentum hat sich deutlich geändert. Seit Urzeiten galt es als "schön und ruhmreich, auf dem Feld der Ehre zu sterben"; Soldatentum und Männlichkeit bildeten vielfach eine Einheit. Noch im Ersten Weltkrieg sprach ein kommandierender englischer General von einem "glorreichen Tag", als sein Land in den ersten 12 Stunden der Offensive an der Somme 60 000 Opfer zu beklagen hatte. Heute hingegen müssen sogar Berufsarmeen alles unternehmen, um eigene Verluste zu vermeiden. Manche glauben bis heute an die Illusion, mittels einer entsprechenden technischen Überlegenheit könne man Opfer in den eigenen Reihen ausschließen. Umso größer ist daher die Betroffenheit über die Zahl jener, die doch im Kampf fallen.

- Die Macht der Medien, insbesondere der Einfluss des Fernsehens und vor allem der direkten Berichterstattung über Kampfhandlungen, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wenn Menschen in ihren Wohnzimmern mitverfolgen können, wie andere getötet und ganze Städte zerstört werden, wenn selbst der Tod eines einzelnen Soldaten Schlagzeilen macht, dann wird es für jede Armeeführung schwer, ihre Truppen beliebig einzusetzen. Noch im Zweiten Weltkrieg wurden Flächenbombardements, ja sogar die militärisch kaum begründbaren Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroschima und Nagasaki, akzeptiert. Heute dagegen hat jeder im Irak gefallene amerikanische Soldat Auswirkungen auf die amerikanische Innenpolitik, und die Opfer unter der irakischen Zivilbevölkerung beeinflussen die öffentliche Meinung in den arabischen Ländern.

Insgesamt kann man sagen, dass in einer Welt, - in der die Menschen einen bestimmten Bildungsgrad erreicht haben, - in der Demokratie und Menschenrechte zu den großen Leitmotiven der Zeit gehören, - in der die Berichterstattung über Kampfhandlungen in die ganze Welt getragen wird und - in der nach den Zerstörungen der beiden Weltkriege der Heldentod vielfach anders gesehen wird, Kriege nicht mehr in der gewohnten Weise begonnen und beendet werden können. Es ist viel schwieriger geworden, anderen mit Gewalt den eigenen Willen aufzuzwingen. Damit ist jedoch das Wesen des Krieges selbst in Frage gestellt.

Heute geht es darum, den Frieden zu gewinnen

Die Konflikte im Kosovo, in Afghanistan und im Irak zeigen, dass es heute nicht mehr genügt, eine gegnerische Armee zu besiegen oder einen feindlichen Herrscher abzusetzen. Solange der Sieger nicht in der Lage ist, die Bevölkerung des besiegten Landes für sich zu gewinnen, ist es sehr gewagt, von einem erfolgreichen Krieg zu sprechen.

Krieg um das Kosovo

1999 bombardierte die NATO militärische Einrichtungen und Stellungen der Serben, um die serbische Vorherrschaft in Kosovo und eine Massenflucht der Kosovo-Albaner zu verhindern. Auch wenn die Bombardements länger dauerten, als ursprünglich geplant, wurde der damalige serbische Staatspräsident Slobodan Milosevic letztlich zum Nachgeben gezwungen. Militärisch war die Aktion ein Erfolg, und die Kosovo-Albaner konnten in ihre Heimat zurückkehren.

Der Friede konnte dadurch jedoch nicht gewonnen werden. Während früher die Kosovo-Albaner von den Serben verfolgt wurden, so waren nach dem Krieg die Serben Opfer von Ausschreitungen der Kosovo-Albaner. Trotz großer finanzieller Zuwendungen fasste auch die Wirtschaft nicht richtig Tritt. Im März 2004 kam es zu Unruhen, bei denen 19 Menschen getötet, 800 verwundet und zahllose serbische Kirchen zerstört wurden. So sehr sich die UNO auch bemühte, die sicherheitspolitischen und demokratischen Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben der beiden Volksgruppen zu schaffen, war es durch das militärische Eingreifen nicht gelungen, das Misstrauen zwischen Serben und Albanern zu beseitigen. Auch der rechtliche Status der Provinz ist bis heute nicht geklärt.

Der Afghanistan-Krieg

Auch in Afghanistan gelang es im Herbst 2001 innerhalb relativ kurzer Zeit, durch einen militärischen Einsatz die Taliban-Regierung, die von den USA für die Anschläge in New York und Washington am 11. September 2001 mitverantwortlich gemacht worden war, zu verjagen und ihre Streitkräfte militärisch zu besiegen. Aber auch hier mussten die USA und ihre Alliierten bald feststellen, dass ein militärischer Sieg bei weitem nicht die Lösung aller Probleme bedeutet. Einerseits gelang es führenden Mitgliedern der Al-Qaida, zu flüchten, andererseits zeigte sich sehr bald, dass sich der Wiederaufbau des Landes äußerst schwierig gestaltet.

Selbst die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes konnten bei weitem nicht in dem Ausmaß gelöst werden, wie dies zu Kriegsbeginn 2001 in Aussicht gestellt worden war. Auch wenn Wahlen durchgeführt wurden und somit formal ein Demokratisierungsprozess begonnen hat, kann man noch längst nicht davon sprechen, dass es gelungen wäre, "die Demokratie in Afghanistan zu verankern".

Der Krieg im Irak

Im Irak ist es durch den Krieg von 2003 zwar zu einem Regimewechsel gekommen. Die von den USA versprochenen Auswirkungen, wonach der Irak durch die Beseitigung von Saddam Hussein ein "Land der Demokratie und der Marktwirtschaft" würde, von allen Nachbarn der Region beneidet, liegen aber auch heute noch in sehr weiter Ferne. Tatsächlich ist die Lage im Irak heute unsicherer denn je. Allein in den ersten drei Jahren nach der offiziellen Beendigung der Kampfhandlungen wurden 3 000 amerikanische Soldaten und zehntausende irakische Zivilisten getötet. Es ist auch nicht - wie ursprünglich verkündet - gelungen, vom Irak aus Demokratie zu verbreiten. Im Gegenteil: Der Irak wurde für die ganze Region ein Faktor der Destabilisierung. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass der Irak nun intensiver als Basis für terroristische Aktionen benützt wird. Denn unter Saddam Hussein war dieses Land noch nicht Aufmarschbasis für die Terrororganisation Al Quaida gewesen.

Zusammenfassung

Kann man heute noch Kriege gewinnen? Vielleicht. Es ist jedoch viel schwieriger geworden als früher. Um einen Krieg erfolgreich zu beenden, genügt es nicht mehr, Schlachten zu gewinnen. Man muss vielmehr auch den Frieden gewinnen, also die Menschen des besiegten Landes von der Richtigkeit der eigenen Ziele überzeugen können.

___________________________________ ___________________________________ Autor: Botschafter Dr. Wendelin Ettmayer, Jahrgang 1943, promovierte 1966 zum Doktor der Rechtswissenschaften und trat nach Absolvierung der Diplomatischen Akademie 1969 in den Österreichischen Auswärtigen Dienst ein. 1979 bis 1983 Abgeordneter zum Nationalrat; 1994 bis 2000 Österreichischer Botschafter in Finnland; 2000 bis 2003 Österreichischer Botschafter in Kanada; seit April 2005 Österreichischer Botschafter beim Europarat in Strasbourg/Frankreich.

Literaturhinweis: Ettmayer, Wendelin (2003) Eine geteilte Welt. Machtpolitik und Wohlfahrtsdenken in den internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts. Linz.

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