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Die vergessene Armee (I)

Die Geschichte der Nationalen Volksarmee der DDR 1956 - 1990

Mit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 - der so genannten Wiedervereinigung - schloss sich ein Kapitel europäischer Geschichte. Die seit 1945 andauernde deutsche Teilung als fixer Bestandteil des Kalten Krieges war ebenso Geschichte geworden wie dieser selbst. Die Streitkräfte der beiden deutschen Staaten wurden von der Politik gleichsam überrollt und die Nationale Volksarmee (NVA), die Stütze des Staates, geschaffen "für den Schutz der Arbeiter- und Bauernmacht", wurde am 2. Oktober 1990 nach 34 Jahren sang- und klanglos zu Grabe getragen.

Sowjetische Streitkräfte in der DDR

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zur Stationierung sowjetischer Truppenteile in der zugeteilten Besatzungszone, kurz "Ostzone" oder "Sowjetische Besatzungszone (SBZ)" genannt. Hauptaufgaben der "Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland" (GSSD), die aus den Besatzungstruppen hervorging, waren die Sicherung sowie der Aufbau einer sozialistischen Staatsordnung im Sinne der UdSSR unter der Führung deutscher Kommunisten.

Die Stärke der sowjetischen Verbände in der DDR umfasste 20 Divisionen mit rund 380 000 Soldaten sowie eine eigene Luftlandearmee. Diese Truppen waren doppelt so stark wie die spätere NVA. Die GSSD stellte damit das größte Truppenkontingent dar, das jemals über einen derart langen Zeitraum (1954 - 1994) von einer Besatzungsmacht im Ausland unterhalten wurde. Durch den 1957 unterzeichneten Truppenstationierungsvertrag kam es auch offiziell zur Regelung dieses Zustandes.

In den 1980er Jahren verfügte die GSSD über 365 000 Soldaten, 6 000 Kampfpanzer, 9 500 Schützenpanzer, 650 Kampfflugzeuge und 700 Hubschrauber. 1990 wurde bei den Verhandlungen über die Deutsche Einheit eine Übereinkunft über den sowjetischen Truppenabzug erzielt. Zu diesem Zeitpunkt waren rund 338 000 sowjetische Soldaten sowie über 207 000 Angehörige in der DDR stationiert, also weit mehr als eine halbe Million Menschen.

Von 1988 bis zur ihrer Auflösung im Jahr 1994 war die offizielle Bezeichnung der sowjetischen Truppen in der DDR "Westgruppe der Truppen" (WGT). Der Abzug der WGT kostete der Bundesrepublik Deutschland mehr als 14 Milliarden Deutsche Mark (ca. 7 Milliarden Euro). Im Gegenzug übernahm die Bundesvermögensverwaltung von der früheren Roten Armee Liegenschaften in der Größe von 240 000 Hektar, einem Gebiet größer als das Saarland. An der folgenden Beseitigung vor allem der Umweltschäden im Bereich militärischer Liegenschaften musste allerdings noch lange gearbeitet werden, was weitere Unsummen verschlang.

Wehrerziehung

Eine besondere Rolle innerhalb der Gesellschaft der DDR nahm die Wehrerziehung ein. Diese begann bereits mit dem Besuch von Kindergartengruppen in Kasernen sowie Auftritten von Soldaten vor Kindergruppen, setzte sich dann mit Geländespielen in den ersten Schulklassen, bei den "Jungen Pionieren" und der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) fort und manifestierte sich schlussendlich in zahlreichen Patenschaften.

Ab 1968 war die Wehrerziehung fixer Bestandteil der Lehrpläne an den Mittelschulen. Vor allem im Sportunterricht wurden militärische Ordnungsformen unterrichtet. 1978/79 wurde das Pflichtfach "Wehrkunde" eingeführt. Neben der schulischen Laufbahn fand sich die Wehrerziehung aber auch im beruflichen Werdegang wieder und war Voraussetzung für einen Lehrvertrag.

Auch an den Universitäten, in den Betrieben und bei der Gewerkschaft gab es ein breitgefächertes Angebot an Programmen und Kursen zur Wehrerziehung. Die Ableistung derselben war oftmals Voraussetzung für einen entsprechenden beruflichen Aufstieg, eine berufliche Förderung oder ein Stipendium.

Allgemeine Wehrpflicht

Aufgrund der von der Politik verordneten antifaschistischen Ausrichtung der DDR bot die Wiederbewaffnungsdiskussion innerhalb der Bevölkerung umfangreichen Diskussionsstoff. Im Gegensatz zur BRD gab es in der DDR zunächst keine Wehrpflicht. Die Soldaten der NVA rekrutierten sich vorerst aus Freiwilligen, die mit großem Propagandaaufwand der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) für den Waffendienst angeworben wurden. Auch die Freie Deutsche Jugend unterstützte die Nachwuchswerbung der NVA intensiv, erzielte aber in der pazifistisch orientierten Bevölkerung der DDR trotz eines massiven gesellschaftlichen Druckes zur "freiwilligen Selbstverpflichtung" nicht die gewünschten Rekrutierungszahlen.

Ein halbes Jahr nach der Errichtung der Berliner Mauer kam es mit dem Gesetz vom 24. Jänner 1962 wie in der BRD auch in der DDR zur Einführung der Wehrpflicht, die nach wie vor als "Recht und Ehrenpflicht" gegenüber dem Staat und der Bevölkerung angesehen wurde. Beinahe jeder männliche Staatsbürger zwischen dem 18. und dem 26. Lebensjahr wurde von nun an eingezogen.

Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung bestand nicht, hierfür gab es ab 1964 lediglich die Möglichkeit des waffenlosen Dienstes als "Bausoldat" innerhalb der NVA, der jedoch unter teilweise entwürdigenden und schikanösen Bedingungen abgeleistet werden musste. Als Wehrersatzdienst konnte man aber auch zur Grenztruppe, den Kasernierten Einheiten der Deutschen Volkspolizei (DVP) oder zum Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) einrücken.

Die Dienstzeit in den Streitkräften betrug 18 Monate, Frauen konnten auf freiwilliger Basis Wehrdienst bei der nicht kämpfenden Truppe ableisten. Bei den schwimmenden Einheiten der Volksmarine dauerte die Dienstzeit für Matrosen drei und für Maate vier Jahre, bei den Fallschirmjägern drei Jahre.

Die bewaffneten Organe

Die Militarisierung der Bevölkerung der DDR zeigte sich vor allem in den zahlreichen bewaffneten Organen. Zu diesen zählten:
  • die Deutsche Volkspolizei (1945 - 1990),
  • die Transportpolizei (1945 - 1990),
  • die Zollverwaltung (1945 - 1990),
  • die Grenzpolizei der SBZ/DDR (1946 - 1961), später die Grenztruppen (1961 - 1989),
  • die Hauptverwaltung für Ausbildung (1949 - 1952),
  • das Ministerium für Staatssicherheit (1950 - 1990),
  • der "Dienst fürs Vaterland" (1952 - 1953),
  • die Kasernierte Volkspolizei (1952 - 1956),
  • die Gesellschaft für Sport und Technik (1952 - 1990),
  • die "Inneren Truppen",
  • die Kampfgruppen der Arbeiterklasse (1952 - 1990), später Bereitschaftspolizei (1953 - 1990),
  • der Luftschutz und die Zivilverteidigung (1955 - 1990) sowie
  • die Nationale Volksarmee (1956 - 1990).

Bis zur Gründung der NVA waren alle Waffen tragenden Einheiten der DDR unter dem Dach der Deutschen Volkspolizei vereint.

Ein wichtiger Bestandteil davon waren die 1952 in den Industriebetrieben gegründeten "Kampfgruppen der Arbeiterklasse", auch "Armee im Blaumann" genannt, bei denen es sich um paramilitärisch organisierte Arbeitermilizen handelte.

Auch wenn der Beitritt offiziell freiwillig erfolgte, brachte eine Weigerung oftmals berufliche Nachteile mit sich. Im Alltag unterstanden die Kampfgruppen der Einsatzleitung der SED, im Verteidigungsfall waren sie ab 1961 als reguläre Gefechtseinheiten der NVA unterstellt, ab 1970 nahmen sie auch an NVA-Manövern teil.

Hauptaufgabe dieser Einheiten war es, innere Aufstände zu unterdrücken. Sie wurden aber auch zu Katastropheneinsätzen herangezogen. 1980 waren rund 78 500 Soldaten in den motorisierten Kampfkräften und weitere 106 500 Soldaten in den Sicherungskräften verfügbar. Inklusive Reserveeinheiten belief sich die Gesamtstärke auf rund 210 000 Soldaten. Die Ausbildung und Schulung der Kommandanten erfolgte durch die Volkspolizei. Auch 1989 waren die Kampfgruppen für den Einsatz vorgesehen, wurden aber ebenso wie die NVA nicht mehr eingesetzt. Im Oktober 1989 stellten die Kampfgruppen ihre Tätigkeit ein, am 6. Dezember gaben sie ihre Waffen ab. Ende Mai 1990 war ihre Demobilisierung abgeschlossen.

Deutsche Volkspolizei und Kasernierte Volkspolizei

Unmittelbar nach Kriegsende genehmigte die "Sowjetische Militäradministration" (SMAD) den Aufbau deutscher Sicherheitskräfte, in die aber nur ausgewählte Antifaschisten aufgenommen wurden. Am 25. Mai 1945 ordnete der sowjetische Stadtkommandant von Berlin, Generaloberst Nikolai Bersarin, die Aufstellung eines eigenen "Schutzpolizeiapparates", der so genannten Deutschen Volkspolizei (DVP), an. Mit der offiziellen Bewaffnung der DVP am 1. Oktober 1945 begann die Einleitung der Remilitarisierung der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Gleichzeitig begann man mit dem Aufbau der Transport- und Grenzpolizei zum Schutz sowjetischer Demontagetransporte, zur Kontrolle des Transitverkehrs sowie zur Unterstützung der Besatzungstruppen bei der Überwachung der Zonengrenzen. Am 3. Juli 1948 erfolgte der Befehl zur Aufstellung kasernierter Bereitschaften, die ab 1952 Kasernierte Volkspolizei (KVP) genannt wurden.

Mit der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 kam es auch zur Umgliederung der militärischen Verbände. Im Frühjahr 1951 wurde die Gliederung jener der Roten Armee angepasst sowie deren Dienstvorschriften übernommen. Den Startschuss zum Aufbau eigener Streitkräfte bildete die Proklamation der "Nationalen Streitkräfte" durch die Volkskammer der DDR am 10. Juli 1952, die den Aufbau der Kasernierten Volkspolizei sowie militärischer Grundstrukturen bewirkte. Bei der KVP handelte es sich um den direkten militärischen Vorgänger der NVA, in der sie 1956 auch aufging. Sie entstand aus den 1949 geschaffenen Kaderformationen der "Hauptverwaltung für Ausbildung" (HVA) und bildete zwischen 1952 und 1956 das stärkste bewaffnete Organ der DDR.

Die Einführung militärischer Dienstgrade und neuer, nach sowjetischem Vorbild gestalteter khakifarbener Uniformen brachte der KVP innerhalb der Bevölkerung den Spottnamen "nachgemachte Russen" ein. Ihr von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gestellter Auftrag lag in der Schaffung der Grundlagen zur Verteidigung der DDR gegen Angriffe von außen. Sie war aber auch von Anfang an ein Instrument der SED zur Machtsicherung im Staat und wurde während des Aufstandes von 1953 auch im Inneren eingesetzt. Trotz aller Bemühungen erreichte sie aber nie die Stärke, um das Staatsgebiet der DDR wirksam verteidigen zu können. Dies gewährleistete nach wie vor die Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland (GSSD). Die KVP bildete vielmehr den personellen, strukturellen und materiellen Grundstock für die 1956 unter Anleitung und Kontrolle der Sowjetunion aufgestellte NVA und ermöglichte der DDR innerhalb kurzer Zeit die Aufstellung einer eigenen einsatzfähigen Armee. Seit Mitte 1955 drängte die DDR-Führung Moskau zur Genehmigung der Aufstellung eigener Streitkräfte, welche jedoch von der Moskauer Führung in Hinblick auf die Genfer Gipfelkonferenz (USA, UdSSR, UK, F) im Sommer 1955 bis Beginn 1956 verschleppt wurde.

Die Nationale Volksarmee (1956 - 1990)

Die Gründung der Nationalen Volksarmee erfolgte am 1. März 1956 auf Beschluss der Volkskammer der DDR vom 18. Jänner, rund ein Jahr nach dem Beitritt der DDR zum Warschauer Pakt und zwei Monate nach der Schaffung der Bundeswehr. Am 10. Februar 1956 erließ der Minister für Nationale Verteidigung den Befehl 1/1956 zum Aufbau von Land-, Luft-, Luftverteidigungs- und Seestreitkräften mit einer Gesamtstärke von 120 000 Soldaten. In einer mit 6. Februar datierten Anlage wurden die Grundsätze für die Ausarbeitung der Strukturen, Stellenpläne und Ausrüstungen der NVA festgelegt. Am 1. März nahm das neu gebildete Ministerium für Nationale Verteidigung in Strausberg (östlich v. Berlin) seine Tätigkeit offiziell auf. Ab 1957 wurde der 1. März als Tag der NVA gefeiert.

Der Kader entstammte der KVP, den Aufbau leitete ab 1955 die Rote Armee. Wie schon die DVP und die KVP musste auch die NVA auf ehemalige Wehrmachtsangehörige zurückgreifen, die nach einer "antifaschistischen Schulung" ihren Dienst antreten durften. 27 Prozent der Offiziere und Unteroffiziere sowie 61 von 82 höheren Kommandoposten waren von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren besetzt. Am 5. Oktober 1956 wurde die Hochschule für Offiziere in Dresden gegründet, die 1959 in eine Militärakademie umgewandelt wurde (seit 14. September 1998 Offizierschule des Heeres der Deutschen Bundeswehr; Anm.).

Aus personellen Engpässen sowie als letzter Versuch, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik zu verhindern, kam es noch im Juni 1956 zur Verringerung der geplanten Kampfstärke von 120 000 auf 90 000 Soldaten. Dennoch gelang es nicht, dem erheblichen Personalmangel Herr zu werden. Die geplanten Divisionen konnten nicht voll aufgefüllt werden, was wiederum zu "Kadrierungen" führte. Das bedeutete, dass bestimmte Einheiten nur aus Kommandeuren und dem Stammpersonal wie etwa den Offizieren in den Stäben, den Unteroffizieren sowie einigen Funktionssoldaten, also nur dem Kaderpersonal, bestanden.

Ende 1956 verfügte die NVA über fünf Motorisierte Schützendivisionen (je 6 950 Soldaten) und zwei Panzerdivisionen (je 6 750 Soldaten). Am 31. Dezember 1956 wurden die letzten Dienststellen der KVP aufgelöst, aus den sieben KVP-Bereitschaften wurden sieben NVA-Divisionen gebildet, wobei deren Stäbe an den bisherigen Standorten verblieben. Ab 1957 folgte die Zuführung von modernen Waffen und modernem Gerät. Ab 1962 nahm die NVA als Koalitionsarmee auch an den groß angelegten Manövern des Warschauer Paktes teil.

1985 wurde die NVA, die über kein eigenes Nuklearwaffenarsenal verfügte, mit Trägerraketen vom Typ SS-23 für sowjetische Atomsprengköpfe ausgerüstet. Die Rolle der nuklearen Strategie der NVA unterlag strengster Geheimhaltung und war bis zu deren Ende nur wenigen hohen NVA-Offizieren bekannt. Noch im Jahr 1990 übte die NVA Atomwaffeneinsätze.

Tradition

Eines der vielen Probleme der NVA bestand darin, dass man auf keine bestehende militärische Tradition zurückgreifen konnte, da auch der Staat selbst über keine Tradition verfügte. Somit wurde eine künstliche Tradition heraufbeschworen, die bei den Bauernkämpfen 1525 begann, über die patriotischen antinapoleonischen Befreiungskriege 1813 und die Revolution von 1848 hin zu den Bolschewisten und Sozialisten von 1918 führte, von den Spanienkämpfern 1936 ihren internationalen Touch bekam und schließlich bei den DVP- und NVA-Kämpfern vom 13. August 1961 endete.

Auch wenn das preußische "Junkertum" immer verteufelt wurde, behielt man den Großen Zapfenstreich und den zum "Exerzierschritt" mutierten Stechschritt bei. Die 1956 eingeführte Uniform ähnelte stark jener der Deutschen Wehrmacht. Diese war aus feldgrauem (offiziell steingrauem) Tuch gefertigt und hatte einen ähnlichen Schnitt. Bei dem für die NVA so typischen abgeflachten Helm handelte es sich ebenfalls um ein Wehrmachtsversuchsmuster, das sich ab 1943 in Erprobung befunden hatte, aber nicht mehr eingeführt worden war.

Mit dieser dem "deutschen Nationalcharakter" entsprechenden Uniform sollte der Unterschied zu den westdeutschen "U.S.-Söldnern" der Bundeswehr unterstrichen werden. Auch wurden die traditionellen Dienstgradabzeichen mit einigen Modifikationen übernommen. So wurde beispielsweise bei den Offiziersdienstgraden die Grundform aus Plattschnur oder Flechtwerk sowie die Gestalt der Rangsterne aus der Reichswehr beibehalten, die Anordnung der Letzteren aber dem sowjetischen Vorbild angeglichen.

Organisation

Im Frieden lag die Befehlsgewalt über die NVA beim Minister für Nationale Verteidigung, im Kriegsfall ging der Oberbefehl an den Nationalen Verteidigungsrat über. Organisatorisch war die NVA dem Ministerium für Nationale Verteidigung mit Sitz in Strausberg unterstellt und gliederte sich in das Kommando Landstreitkräfte in Geltow bei Potsdam (dort befindet sich heute das Einsatzführungskommando der Deutschen Bundeswehr; Anm.), das Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Strausberg und das Kommando Volksmarine in Rostock. Die operative Kontrolle über die NVA übte der Befehlshaber der GSSD mit Hauptquartier in Wünsdorf aus, ein Kuriosum auch innerhalb des Warschauer Paktes. Um den vielen verschiedenen Aufgaben des Ministeriums gerecht zu werden, gab es mehrere Stellvertreter des Ministers, die allesamt neben der Bezeichnung "Stellvertreter des Ministers" als Beifügung ihren weiteren Aufgabenbereich angehängt bekamen. Dies waren der "Stellvertreter des Ministers" und
  • Chef des Hauptstabes,
  • Chef der politischen Hauptverwaltung,
  • Chef Technik und Bewaffnung und
  • Chef der Rückwärtigen Dienste.

Weiters waren alle Chefs der Teilstreitkräfte sowie der Grenztruppen ebenfalls Stellvertreter des Ministers, was zur Folge hatte, dass sich vier Stellvertreter im Ministerium und vier bei den Teilstreitkräften aufhielten. Dem Chef der Landstreitkräfte waren die beiden Militärbezirke III Leipzig und V Neubrandenburg unterstellt. Im Mobilmachungsfall wären daraus die Feldführungsstäbe der 3. und 5. Armee sowie die Stäbe der territorialen Militärbezirkskommanden III und V formiert worden.

Offiziere und Unteroffiziere

Der Ausbildungsstand innerhalb der NVA wurde von anderen Staaten als gut bezeichnet, was auch auf die ausgedehnte vormilitärische Erziehung zurückzuführen war. Nach einer vierwöchigen Grundausbildung konnte sogleich mit einer entsprechenden Spezialausbildung begonnen werden. Längerdienende konnten die Laufbahn als "Unteroffizier auf Zeit" mit einer Regeldienstzeit von drei Jahren, als "Berufsunteroffizier" (zehn Jahre), seit 1973 als Fähnrich (15 Jahre), als Offizier auf Zeit (drei, ab 1983 vier Jahre) oder als Berufsoffizier (25 Jahre) einschlagen.

Wehrpflichtige, die mit einem Studienplatz spekulierten, wurden oftmals schon von den Wehrbeauftragten in den Schulen in die Laufbahn als Unteroffizier auf Zeit gedrängt. Auch Frauen konnten die Laufbahn als Unteroffizier auf Zeit, Berufsunteroffizier, Fähnrich und ab 1984 auch als Berufsoffizier einschlagen, allerdings nicht bei der Kampftruppe. Die Offiziersausbildung erfolgte in eigenen Offiziershochschulen für die Landstreitkräfte, für die Luftstreitkräfte/Luftverteidigung sowie für die Volksmarine. Für Unteroffiziere gab es über zehn Unteroffiziersschulen. Die Ausbildung zum Führungskader (ab Regiment) erfolgte an der Militärakademie "Friedrich Engels" in Dresden bzw. an einer sowjetischen Militärakademie.

Verdiente Kadersoldaten konnten ab der Mitte der 1970er Jahre auch zum Auslandsstudium an Offiziersschulen der UdSSR entsandt werden, für leitende Offiziere der künftigen DDR-Armee war dies schon seit 1949 möglich. Laut Anatoli Gribkow, dem langjährigen Stabschef der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Paktes, wurden insgesamt 13 474 Deutsche an sowjetischen Lehranstalten ausgebildet, 374 Offiziere und Generale besuchten die Woroschilow-Akademie, die Akademie des Generalstabes der Streitkräfte der UdSSR.

… die Partei, die Partei, die hat immer Recht …

Am 22. April 1946 war es in der sowjetischen Besatzungszone unter starkem Druck der Besatzungsmacht und gegen den erbitterten Widerstand der westdeutschen und der Berliner SPD zur Vereinigung der Kommunistischen (KPD) und Sozialistischen (SPD) Partei zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der SED, gekommen. Ab 1948 entwickelte sich diese immer stärker zu einer Kaderpartei, in der Fraktionsbildungen streng verboten waren.

Da Andersdenkende ausgeschlossen wurden, wurde die SED zunehmend zum alleinigen Machtfaktor im Staat, was sogar im Artikel 1 der DDR-Verfassung niedergeschrieben wurde. Das (offiziell) höchste Organ der SED war der Parteitag, der das Zentralkomitee bestimmte. Das Zentralkomitee wiederum berief die Mitglieder des Sekretariates sowie des Politbüros. Was der Ministerrat als Regierung tat, geschah auf Anweisung der Leitungsgremien der SED, deren oberstes Gremium wiederum das Politbüro war. Staats- und Parteiführung waren somit in der DDR in den Händen des Politbüros vereint. Am 4. Februar 1990 erfolgte die Umbenennung der SED in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS).

Am 14. Jänner 1958 fasste das Politbüro der SED den Beschluss "Über die Rolle der Partei in der Nationalen Volksarmee", um den Einfluss der Partei innerhalb der Armee zu stärken. In den Augen der SED war die NVA ein "Klassen- und Machtinstrument des Arbeiter- und Bauernstaates", daher war es nicht verwunderlich, dass sich die Partei ihren Einfluss mit der Einrichtung der "Politischen Hauptverwaltung" sowie einem Netz von Politoffizieren, die über Beförderung und Einsätze innerhalb der Armee entschieden, sicherte.

Seit 1984 übernahmen die Offiziersschulen der Teilstreitkräfte auch die Ausbildung von Politoffizieren. Zuvor waren ausgewählte Truppenoffiziere, meist Zugführer, in mehrmonatigen Lehrgängen an der Militärpolitischen Hochschule in Berlin-Grünau ausgebildet worden. In den 1980er Jahren lag der SED-Anteil unter den einfachen Soldaten und Gefreiten bei sechs bis sieben Prozent, bei den Unteroffizieren auf Zeit bei 14 und bei den Berufsunteroffizieren bei 60 Prozent. Bei allen Offizieren und Fähnrichen waren 94 Prozent Parteimitglieder, Offiziere auf Zeit eingerechnet, 90 Prozent. Noch deutlicher war dieser Prozentsatz bei den Berufsoffizieren mit 96, ab Dienstgrad Major aufwärts mit 98 bis 99 Prozent und ab Oberstleutnant aufwärts sogar 100 Prozent. Vor allem die Offiziere unterlagen der ständigen Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit. So kam es vor, dass Parteiloyalität wichtiger war als militärische Professionalität, was sich wiederum negativ auf die Fachkompetenz auswirkte und in den Anfangsjahren der NVA stark bemerkbar war. Die politische Erziehung, unter dem Decknamen der gesellschaftswissenschaftlichen Weiterbildung, betrug bei Offizieren etwa zwei Tage pro Monat. Bis 1989 war jeder Verteidigungsminister auch Mitglied des Politbüros und jeder kommandierende General Mitglied oder zumindest Kandidat des Zentralkomitees der SED.

Rüstungsindustrie

Den Großteil der Bewaffnung und Ausrüstung der NVA, die nicht immer dem neuesten Stand entsprach, lieferte die UdSSR. Nur ein geringer Teil wurde in Lizenz im eigenen Land produziert. 1989 bestand die Rüstungsindustrie der DDR aus 74 Betrieben mit rund 42 000 Arbeitskräften sowie 130 Zulieferbetrieben und Finalproduzenten. 285 weitere Betriebe kümmerten sich um die Instandsetzung von militärischen Gütern.

Im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten des östlichen Wirtschaftsbündnisses verfügte die DDR über moderne Betriebsstätten mit hoch produktiven Technologien. Die in diesen Unternehmen beschäftigten Facharbeiter und Ingenieure hatten eine hohe berufliche Qualifikation sowie das dafür notwendige Qualitätsbewusstsein. Die Rüstungsunternehmungen waren als selbstständige Betriebe in Kombinaten (konzernartige Zusammenschlüsse von "Volkseigenen Betrieben") eingebunden, mit Ausnahme des Kombinates Spezialtechnik Dresden, das ausschließlich Rüstungsunternehmen umfasste. Die Wirtschaftsleistung des Rüstungsbereiches unterstand somit dem Industrie- und später dem Wirtschaftsministerium und nicht der Armee. Die Initiativen für Rüstungsproduktionen kamen aus den entsprechenden SED-Gremien, zumeist direkt aus dem Politbüro.

Das produzierte Gesamtvolumen an wehrtechnischen Gütern und Dienstleistungen betrug 1989 3,7 Milliarden Ost-Mark (rund 600 Mio. Euro), davon wurde Wehrtechnik in der Höhe von 1,4 Milliarden (rund 250 Mio. Euro) hauptsächlich in die UdSSR exportiert. Das Gesamtvolumen betrug allerdings nur ein Prozent der gesamten industriellen Warenproduktion der DDR. Bis 1990 war gegenüber 1981/85 eine Verdreifachung des militärischen Rüstungsexportes vorgesehen.

Mit dem Einsetzen von Gorbatschows Entspannungspolitik verlor die DDR-Rüstungsindustrie ihren wichtigsten Abnehmer. So wurden beispielsweise 1986 in Jena alle militärischen Projekte gestoppt und auf zivile Produktion umgestellt. Die gesamte Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Produkte kam einer wirtschaftlichen Katastrophe gleich, da die Kosten dafür sehr hoch waren. Dies führte zur Beschleunigung des wirtschaftlichen Kollapses der DDR Ende der 1980er Jahre.

Wie auch in anderen Armeen des Ostens wurden Angehörige der NVA zeitweise auch als Erntehelfer, im Braunkohleabbau sowie für Bauaufgaben eingesetzt, auch wenn hierbei keine sowjetischen Dimensionen erreicht wurden. Derartige Einsätze betrachtete die Armeeführung sehr kritisch, da dadurch wertvolle Ausbildungszeit verloren ging. Vor allem Ende der 1980er Jahre arbeiteten viele Baupioniere in Großbetrieben, die unter Arbeitermangel litten, wie etwa in der chemischen Industrie oder im Braunkohletagebau.

(wird fortgesetzt)


Autor: Hauptmann Dr. Thomas Reichl, Jahrgang 1971. 1989/90 Einjährig Freiwilligenausbildung (Waffengattung Jäger), danach Zugskommandant, stellvertretender Kompaniekommandant und S1 im Jägerbataillon Wien 1 "Hoch- und Deutschmeister"; Dokumentarkurs an der Nationalbibliothek; Studium der Geschichte (Schwerpunkt Militärgeschichte); 1994 bis 1999 Leiter Input der Zentraldokumentation der Landesverteidigungsakademie; seit 1999 im Heeresgeschichtlichen Museum Wien, derzeit Leiter Marketing und Besucherbetreuung sowie Kurator zahlreicher Ausstellungen (40 Jahre UNO, 50 Jahre ÖBH, 10 Jahre Grenzsicherung, Ungarn 1956, CSSR 1968, u. v. m.).

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