Bundesheer Bundesheer Hoheitszeichen

Bundesheer auf Twitter

Nachhaltige Friedensarbeit braucht ganzheitliche Lösungen

Nachhaltige Friedensarbeit braucht Behutsamkeit und die Berücksichtigung aller Betroffenen. Krisen und Konflikte wirken sich auf Männer und Frauen unterschiedlich aus. Diesem Umstand muss bei Wiederherstellung und Erhaltung des Friedens Rechnung getragen werden. Ein beiden Geschlechtern gerecht werdendes Herangehen ist dringend notwendig. Erfahrungen aus dem "Missionsalltag" realer Friedenseinsätze zeigen, dass eine solche, "geschlechtergerechte" Vorgehensweise, die Effizienz von Friedensmissionen wesentlich steigern kann.

Jahrzehntelange Beobachtungen der Vereinten Nationen (VN) belegen, dass Frauen anders von Konflikten betroffen sind als Männer. Grund dafür sind die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen und Männern.

Wenn irgendwo auf der Welt ein bewaffneter Konflikt stattfindet ist vor allem die männliche Bevölkerung oftmals gezwungen, sich einer der Konfliktparteien anzuschließen. Dies bedeutet im Anlassfall, dass die Familien allein zurückgelassen werden, da die Pflicht zur militärischen Beitragsleistung meist verbindlich ist. In dieser Situation werden diese Männer zahlreiche Ängste und Sorgen empfinden, wie etwa: "Komme ich wieder nach Hause zurück? Wann kehre ich nach Hause zurück? Kann meine Familie allein überleben?" Währenddessen sind die betroffenen Frauen mit völlig unterschiedlichen Ängsten konfrontiert. Fragen wie: "Kann ich alleine für meine Kinder - für meine Eltern - sorgen?" oder "Werde ich in der Lage sein, mich selbst und meine Familie zu schützen?" werden diese Frauen beschäftigen. Derartige Überlegungen zeigen, dass unterschiedliche Lebensrealitäten von Männern und Frauen zweifellos auch völlig unterschiedliche Ängste und Schutzbedürfnisse zur Folge haben.

Bewaffnete Konflikte verursachen für die Menschen vor Ort - für Männer und Frauen - in hohem Maße unsichere Verhältnisse. Im Unterschied zu den Männern können sich Frauen größtenteils jedoch weder an Friedensverhandlungen noch an den nachfolgenden politischen Entscheidungsprozessen beteiligen, da die sicherheitspolitischen Akteure auch heute noch fast ausschließlich Männer sind. Speziell in Staaten, in welchen die Denkweise nicht "westeuropäisch" geprägt ist, ist die Beteiligung von Frauen an derartigen Prozessen äußerst selten. Frauen können daher ihre spezifischen Ängste und Bedürfnisse meist nicht konkret ansprechen - und die Männer vor Ort werden diese Probleme aufgrund der kulturellen Situation oftmals nicht thematisieren. Die internationale Sicherheitspolitik beruht somit sehr oft auf "geschlechterfokussierten" Wahrheiten und Behauptungen. Die Ungewissheit für Frauen und deren Sorgen werden dadurch zusätzlich verstärkt.

Sicherheitsrats(SR)-Resolution 1325

Vor diesem Hintergrund hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Oktober 2000 eine Resolution verabschiedet, die Frauen in Krisengebieten eine Stimme geben soll. Dieser Beschluss, die Sicherheitsrats(SR)-Resolution 1325, ist ein Meilenstein in der internationalen Friedenspolitik. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen hat der Sicherheitsrat einen völkerrechtlich bindenden Beschluss gefasst, der Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden beteiligen soll und eine geschlechtergerechte Beilegung von Konflikten zum Ziel hat.

Die SR-Resolution 1325 soll Frauen in Krisengebieten die Möglichkeit verschaffen, ihre Bedürfnisse anzusprechen bzw. deren Beteiligung bei der Friedensarbeit zu sichern.

Konkret verfolgt die SR-Resolution 1325 folgendes:

  • verstärkte Miteinbeziehung von betroffenen Frauen und Ermittlung ihrer speziellen Bedürfnisse;
  • eine gendersensitive Betrachtung aller Programme und Projekte der Friedensförderung;
  • verstärkte Teilnahme von Frauen in der Friedensarbeit, damit die Betroffenen vor Ort Ansprechpartner vorfinden;
  • Maßnahmen zur Prävention von genderspezifischer Gewalt und Schutz der besonderen Bedürfnisse und Rechte von Mädchen und Frauen während und nach Konflikten.

Österreich hat den Zielen dieser SR-Resolution im Jahr 2007 vollinhaltlich zugestimmt. Entsprechend der Empfehlung der Vereinten Nationen hat die österreichische Bundesregierung einstimmig einen nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung dieser SR-Resolution verabschiedet.

In diesem NAP sind Maßnahmen formuliert, wie Österreich die Ziele der Resolution 1325 unterstützen kann:

  • politisches Engagement auf internationaler und regionaler Ebene, um betroffene Frauen in Krisengebieten zu unterstützen;
  • konkrete Aktivitäten zur Unterstützung von Frauen und Mädchen in Konflikt- und Postkonfliktregionen;
  • Einsatz einer spezifischen Personalpolitik, deren Ziel die Erhöhung des Anteils von Frauen in der Friedensarbeit ist;
  • die konsequente Verfolgung einer Zero-Tolerance-Policy betreffend sexuellen Missbrauch und Prostitution bei Friedensengagements.

Die SR-Resolution 1325 wird auch im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verwirklicht. Die EU hat Richtlinien zur Umsetzung in europäischen Friedenseinsätzen entwickelt und Ratsschlussfolgerungen zur Berücksichtigung von Gleichstellungsaspekten im Krisenmanagement erlassen. Seit 2004 beschäftigt sich darüber hinaus das teilweise EU-finanzierte Projekt Genderforce intensiv mit den Zielen dieser SR-Resolution. Das Kernthema dieses Projektes ist aber nicht die Erarbeitung von weiteren theoretischen Vorgaben, sondern vielmehr wird versucht, diese Vorgaben in die Praxis umzusetzen. Diese Umsetzungsbeispiele sollen als Denkanstoß verstanden werden, mit welchen oft einfachen Maßnahmen die Ziele der SR-Resolution 1325 in Friedensmissionen erreicht werden könnten.

Auch Organisationen, wie die NATO und die OSZE haben sich bereits intensiv mit Vorgaben zur Umsetzung der SR-Resolution auseinandergesetzt.

Im Jahr 2009 wurde beispielsweise von der NATO eine Bi-SC(Strategic Commands) Directive - also eine Anweisung der beiden Strategic Commands der NATO - entwickelt, die festhält, welche Maßnahmen in NATO-geführten Einsätzen künftig zu ergreifen sind. In diesem Dokument werden konkrete Handlungsanweisungen zur Berücksichtigung von genderspezifischen Bedürfnissen formuliert. Die geschlechtergerechte Herangehensweise wird in diesem Dokument auch gleichermaßen als ein Tool zur Steigerung der Effektivität von NATO-Operationen gesehen - "Through the uniform implementation of this directive, gender mainstreaming should become routine with full regard to operational requirements in order to improve operational effectiveness".

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sowohl im Jahr 2008 als auch im Jahr 2009 mit den SR-Resolutionen 1820, 1888 und 1889 erneut - und mit Nachdruck - die Notwendigkeit einer geschlechterspezifischen Herangehensweise betont. In diesen Dokumenten werden wiederholt besondere Schutzmaßnahmen für Frauen bzw. deren gezielte Einbindung in Friedensbemü- hungen festgeschrieben. Darüber hinaus wird ausdrücklich die Etablierung von Gender-Experten gefordert, die eine konsequente Umsetzung dieser Resolutionen unterstützen sollen.

Die Umsetzung - "We live in practice, not in theory"

In der Internationalen Gemeinschaft, in verschiedenen regional agierenden Organisationen und auch auf nationaler Ebene wurden im letzten Jahrzehnt ausreichend Konzepte zur Berücksichtigung von genderspezifischen Bedürfnissen formuliert. Wie oft, hinkt jedoch auch im Falle der SR-Resolution 1325 die praktische Umsetzung den theoretischen Vorgaben weit hinterher. Eine EU-Vergleichsstudie der schwedischen Präsidentschaft im Jahr 2009 zeigt deutlich, dass vor allem im Bereich der Realisierung die größten Probleme bestehen.

Das holländische Directorate of Operations formulierte die Problematik bereits im Jahr 2007 sehr deutlich: "Of course we are willing to take gender issues into our planning process but help us! Give us tools and suggestions!" Wie bereits angesprochen, wurden in den letzten fünf Jahren tatsächlich derartige "Werkzeuge und Empfehlungen" - vor allem im Rahmen des EU-Projektes Genderforce - entwickelt.

Bis dato stützen sich die Empfehlungen auf zwei Erkenntnisbereiche:

  • Einerseits wurde versucht im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen festzustellen, wie sich die Realisierung einer genderspezifischen Herangehensweise auf die Mission und die Betroffenen vor Ort auswirkt.
  • Andererseits hat man durch den Einsatz von Gender-Experten eine gendersensitive Planung, genderspezifische Maßnahmen und eine dementsprechende Evaluierung in laufenden Missionen realisiert. Die Ergebnisse wurden ausgewertet und dokumentiert.

Durch diese wissenschaftlichen - vor allem aber durch die praxisbezogenen - Analysen wurden Tätigkeitsfelder identifiziert in welchen genderspezifisches Vorgehen besonders angezeigt ist.

Speziell in den Bereichen Operational Planning Process, Intelligence, PSYOPS (Psychological Operations), Training & Education sowie CIMIC (Civil Military Coordination) wurde erkannt, dass durch eine gezielte Herangehensweise bemerkenswerte Ergebnisse möglich sind.

Diese Ergebnisse wurden einerseits im Zuge der Reporting-Mechanismen dokumentiert, andererseits wurden sie danach vor allem im Rahmen internationaler Meetings thematisiert. Auch durch gezielte Schulungsmaßnahmen wurden interessierte Teilnehmer und Experten informiert. Eine Sammlung von derartigen "Good and Bad Examples" wurde mittlerweile auch veröffentlicht. Diese Zusammenstellung und Kommunikation der Ergebnisse soll helfen zu erklären, welche Maßnahmen ganz besonders zur Umsetzung der SR-Resolution 1325 beitragen und zudem auch in der Missionsrealität umgesetzt werden können.

Beispiele aus Missionen - "Putting Words into Action"

Die nachfolgenden Beispiele sind Erlebnisse aus verschiedenen Bereichen der Friedensarbeit. Die Ausführungen sind internationalen Dokumentationen entnommen bzw. wurden bei Konferenzen und bei der ersten internationalen Ausbildung von Gender-Experten vorgetragen. Diese Beispiele zeigen, wie die Angehörigen einer Friedensmission gezielt auf Frauen in Krisengebieten zugehen können. bzw. wie es gelingen kann, deren Bedürfnisse besser zu erkennen.

Gender Field Advisors (GENAD) beraten den Kommandanten In internationalen Missionen wurden seit dem Jahr 2006 gezielt Gender-Experten eingesetzt (EUFOR RD Congo). Diese Experten (Gender Field Advisors) sind - wie die Legal oder Political Advisor in ihrem Fachgebiet - Berater des Kommandanten. Ihre Aufgabe ist die gendersensitive "Beurteilung der Lage" - also das Erkennen der Lebensrealitäten von Betroffenen beider Geschlechter in Krisengebieten. Hauptsächlich soll der GENAD Antworten auf folgende Fragen finden:

  • Wie wirken sich einzelne Maßnahmen einer Mission auf die unterschiedlichen Geschlechter aus?
  • Welche Aktivitäten der Mission können bei bewusster Interpretation des Auftrages (Mandates) zu einer Unterstützung von Frauenanliegen beitragen?
  • Wird die Mission für beide Geschlechter gleichermaßen aktiv und unterstützt deren Lebenssituation?
  • In welchen Bereichen der Mission sollen die entsandten Frauen eingesetzt werden, um den gesellschaftlichen Strukturen vor Ort Genüge zu tun bzw. um die Kontaktaufnahme mit der weiblichen Bevölkerung im Allgemeinen zu erleichtern?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, bereitet sich der GENAD bereits in der Vorbereitung sehr gezielt auf die Lebensumstände der Betroffenen im Einsatzraum vor. Darüber hinaus waren für diese Mission bereits in der Soldier´s Card Definitionen vorhanden und Verhaltensregeln unter Punkt 5 c. Gender Issues angeordnet. Das Wichtigste aber ist eine Beurteilung der Situation vor Ort. Nur durch authentische Beobachtungen lässt sich zweifelsfrei feststellen, wie die Menschen in der konkreten Krisenregion wirklich leben.

Die erkannten unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen werden in unmittelbare und strategische Notwendigkeiten unterteilt und Maßnahmen werden dementsprechend abgeleitet. Eine praktische (taktische) Maßnahme könnte z. B. die Patrouillen-tätigkeit auf den Wegen zu Wasserstellen sein, um gewaltsame Übergriffe zu vermeiden.

Eine strategische Maßnahme wäre z. B. die aktive Miteinbeziehung von Frauen in die Friedensarbeit; dies zeigt vor Ort Wertschätzung sowie Anerkennung der Frauen und bewirkt dadurch langfristig gesehen Veränderungen in den gesellschaftlichen Strukturen.

Nach einer eingehenden "Lagebeurteilung" wird dem Kommandanten ein gendersensitives Lagebild vorgelegt. Zudem werden Maßnahmen vorgeschlagen, welche darauf abzielen, mit den betroffenen Frauen in Kontakt zu treten bzw. um deren Anliegen zu unterstützen. Ziel dieser Ableitungen ist es, die Mission für die gesamte Bevölkerung gleichermaßen wirksam werden zu lassen. Aufgrund der bereits formulierten Ungleichheiten bei den Entscheidungspositionen muss bei dieser Beurteilung besonders die spezifische Lebenssituation von Frauen beachtet werden, da diese mit den (meist männlichen) Akteuren der Mission kaum in Kontakt kommen.

Der Kommandant legt schließlich jene Maßnahmen fest, die während der Mission durchführbar sind und die zur Erreichung einer geschlechtergerechten Friedensarbeit beitragen. Der GENAD wirkt bei der Umsetzung dieser Maßnahmen mit, informiert, dokumentiert und erstellt eine kontinuierliche, gendersensitive Lagebeurteilung.

Neue Strukturen retten Leben

Nach dem schweren Erdbeben in Pakistan im Jahr 2005 waren die Hilfskräfte mit einer paradoxen Realität konfrontiert. Bei der Analyse der Opferzahlen wurde sichtbar, dass viel mehr Frauen den Tod in den Trümmern gefunden haben als Männer.

Die Hauptursache dieses Ungleichgewichtes war die Lebenssituation der Frauen vor Ort. In Pakistan genießen Frauen nicht jene Bewegungsfreiheit, die für europäische Frauen selbstverständlich ist. Der weiblichen Bevölkerung dort ist es oft nicht erlaubt, ihre Häuser so ohne weiteres zu verlassen, da dies durch die kulturellen und religiösen Gegebenheiten, meist nur in männlicher Begleitung zu geschehen hat. So sind viele der Frauen während der Erdstöße in den Häusern geblieben. Viele fanden den Tod oder wurden verschüttet. In der Folge waren die nationalen und internationalen Hilfskräfte - im Besonderen auch jene der regionalen Urban Search and Rescue Teams (USAR) - damit konfrontiert, dass die Frauen sich nicht von Männern retten lassen wollten, da eine Berührung durch einen "fremden" Mann, einer nicht wieder gutzumachenden "Verunreinigung" gleichgekommen wäre. So wurde oftmals die Hilfe der Rettungsteams zurückgewiesen. Sogar dringend notwendige ärztliche Hilfeleistungen wurden durch diesen Umstand erheblich erschwert.

Die Lebensrealität der Menschen vor Ort wurde bei der nachfolgenden Neustrukturierung der USAR-Teams mit einbezogen. Den Betroffenen wurde klar vor Augen geführt, dass sich ein ähnliches Dilemma wiederholen wird, wenn nicht bei der Neuaufstellung der USAR-Teams die Mitwirkung von Frauen ermöglicht wird. Die vorerst sehr skeptische Bevölkerung wurde überzeugt - und trotz aller Bedenken - konnte eine angemessene Anzahl von weiblichen Hilfskräften angeworben werden. Diese Maßnahme fand letztendlich auch die Unterstützung der männlichen Bevölkerung.

Um die Ausbildung der weiblichen USAR-Teammitglieder zu ermöglichen, wurde z. B. die Kleidung der Rettungskräfte so angepasst, dass sie für die betroffenen Frauen tragbar war, ohne dabei "das Gesicht zu verlieren". Darüber hinaus wurden die Parameter für die Leistungsüberprüfung angepasst, ein mobiles weibliches Ärzteteam formiert, die Trainingsbereiche für Frauen vor neugierigen Blicken abgeschirmt und internationale weibliche Trainer herbeigeholt, um die Frauen für einen möglichen, nachfolgenden Katastropheneinsatz vorzubereiten.

Durch die Realisierung dieser gemischten USAR-Teams konnte ein wesentlicher, nachhaltiger Beitrag zu einer geschlechtergerechten Hilfeleistung erreicht werden. Der Einsatz dieser Teams hat auch bei der Bevölkerung vor Ort eine höchst positive Einstellung gegenüber den internationalen Hilfskräften bewirkt.

Gender Advisor in Afghanistan

Auch bei den "Provincial Reconstruction Teams" (PRT) in Afghanistan versuchten Gender Field Advisor im Verantwortungsbereich der schwedischen Streitkräfte den Auftrag des Mandates "building a safe and secure environment" so gut wie möglich für beide Geschlechter umzusetzen. Dazu wurde in einem ersten Schritt die Rollenaufteilung von Frauen und Män-nern vor Ort genau untersucht. Durch die Betrachtung der unterschiedlichen Aufgaben wird im Allgemeinen sehr oft die zugrunde liegende Machtkonstellation innerhalb der Bevölkerung sichtbar. Jene, die produktive Arbeit leisten - meist die Männer - verfügen über die wenigen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel und haben dadurch Zugriff auf die lebensnotwendigen Ressourcen. Frauen verrichten in dieser Region meist reproduktive (unbezahlte) bzw. gemeinnützige Arbeit und sind oft bereits aufgrund dieser Tatsache von den Männern abhängig. Erschwert wird die Situation der Frauen zudem von kulturellen Faktoren, über die das deutsche Magazin "Frauennews" erst kürzlich mit dem Titel: "Frau-sein in Afghanistan ist wie Nichts-sein" berichtete. Diese für Europäer unverständlichen Lebensumstände wurden in Mazar-e-Sharif vom schwedischen Kontingent bereits bei der Planung von Aktivitäten der Mission mit einbezogen.

Die Maßnahmen wurden im Operationsplan so formuliert und umgesetzt, dass sie bestmöglich und für beide Geschlechter wirksam werden konnten. Die Kommandanten vor Ort übernahmen dabei die Verantwortung, indem sie etwa ein "systematic mainstreaming of Human Rights and Gender Issues into operational planning and in the execution of the operation" vorsahen. Diese Aufgabe "is to be ensured by especially designed personnel in all levels of command". Durch die Formulierung der Aufgaben im Operationsplan wurde das Wahrnehmen der Genderverantwortung ein Kommandantenanliegen. Somit werden die entsprechenden Maßnahmen nicht nur "von oben" gewollt, sondern auch die nachfolgende Realisierung durch die Mission ist vor Ort sichergestellt.

Durch diese zielorientierte Herangehensweise und den direkten Kontakt zur weiblichen Bevölkerung konnten bemerkenswerte Erfolge erzielt werden. Unter vielen anderen Maßnahmen wurden so genannte "Frauen-Meetings" organisiert. Bei diesen Meetings wurde Vertrauen aufgebaut und es konnte von den weiblichen Dorfbewohnern in Erfahrung gebracht werden, dass die weiblichen Häftlinge im nahe gelegenen Gefängnis Sicherheitsbeamten und Regierungsangehörigen zu Willen sein müssen.

Diese Erkenntnisse wurden dem Kommandanten gemeldet. Der schwedische Kommandant hat die Beobachtung des Objektes angeordnet und darüber hinaus auch die verantwortlichen Regierungsstellen sowie UN-Hilfskräfte mit einbezogen. Als man nach einigen Tagen Gewissheit hatte, dass die nächtlichen Besuche tatsächlich stattfanden, wurde in einem gemeinsamen Vorgehen die Amtsenthebung des Gefängnisdirektors erreicht. Der Bevölkerung wurde gezeigt, dass ganz gezielt auch im Sinne der Frauen vorgegangen wird, und die Reaktion der Dorfbewohner war insgesamt sehr positiv.

"Afghan women don’t vote"

Ein weiteres Beispiel aus Afghanistan zeigt, wie der gezielte Kontakt mit Frauen zu wertvollen Erkenntnissen in der Mission führen kann. Im Zuge von Patrouillentätigkeiten und anderen Kontaktaufnahmen eines weiblichen Military Observer Teams (MOT) äußerten ortsansässige Frauen kurz vor den Wahlen in Afghanistan 2009, dass viele Dorfbewohnerinnen vorhaben bei der bevorstehenden Wahl ihre Stimme abzugeben. Als die männlichen Dorfbewohner während eines Meetings befragt wurden, ob Bedarf für Schutz zum Wahlgang besteht, verneinten diese mit der Erklärung, dass afghanische Frauen selbstverständlich nicht wählen. Bei einem nachfolgenden Frauen-Round-Table erklärten die weiblichen "Dorfältesten", dass etwa 75 Prozent der Frauen vor hätten, ihre Stimme abzugeben. Die Mission konnte durch diese Information ihre Schutzaufgaben gezielt wahrnehmen und den Urnengang der Frauen entsprechend sichern.

Mitrovica - Bekämpfung des "Human Trafficking"

Das schwedische Kontingent im Kosovo interessiert sich seit geraumer Zeit besonders für zwei Problembereiche: Wie wirken sich die Maßnahmen bzw. die Anwesenheit einer Mission auf die unterschiedlichen Geschlechter im Einsatzraum aus und wird die Lebenssituation beider Geschlechter in gleichem Maße unterstützt?

Im Speziellen beschäftigen sich die Soldaten vor Ort mit dem Problem des Menschenhandels (Human Trafficking) im Einsatzgebiet. Dabei geht es vor allem um Frauen, die meist aus Osteuropa in das Kosovo geschmuggelt und dort zur Prostitution gezwungen werden. Zur Identifikation der auf diesem Wege ins Land geschmuggelten Frauen wurden spezielle Maßnahmen im Operationsplan des schwedischen Kontingentes formuliert. Spezielle "Beobachter" wurden mit einer soliden Erfassung der Ist-Situation beauftragt. Dabei wurde festgestellt, dass durch die Anwesenheit der Mission die Anzahl der Bordelle stark gestiegen ist.

Die Annahme, dass dieser Anstieg auf eine Nachfrage von internationalen Hilfskräften zurück zu führen wäre, lag für die schwedischen Offiziere nahe. Da für die internationalen Friedensmissionen eine Zero-Tolerance-Policy gilt - das bedeutet 100-prozentige Strafverfolgung bei sexuellem Missbrauch und Unterstützung von Prostitution -, haben es sich die Schweden zum Ziel gemacht, diese Zero-Tolerance-Policy im eigenen Bereich auch wirklich umzusetzen. Dazu wurde eine kontinuierliche Überwachung der einschlägigen Etablissements im Verantwortungsbereich durchgeführt. Angehörige der internationalen Hilfskräfte wurden generell von derartigen Einrichtungen weggewiesen bzw. wenn Angehörige der schwedischen Streitkräfte angetroffen wurden, sind diese aus dem Auslandseinsatz repatriiert worden.

Die schwedischen Offiziere haben nach eigener Ansicht mit diesen Maßnahmen dem Auftrag:

  • to create a secure and stable operating environment,
  • to combat organized crime, terrorism and insurgents - the sources of destabilization,
  • to eliminate the funding for the destabilizing forces

bestmöglich entsprochen und diese Herangehensweise wird in weiterer Folge bei allen Pre- und In-Mission-Trainings kommuniziert. Man versucht damit, den Auszubildenden anhand von Beispielen zu erklären, dass die Ausbeutung von Frauen in Krisensituationen absolut zu verurteilen ist, und dass jede Nichteinhaltung der Zero-Tolerance-Policy letztendlich nur die Menschenhändler unterstützt. Das vordringlichste Ziel dieses Lösungsansatzes ist es demnach, den Menschenhändlern die Grundlage ihres "Tuns" zu nehmen. Nach Meinung des schwedischen Kommandanten in Mitrovica ist es keinesfalls akzeptabel, dass durch die Anwesenheit internationaler Peacekeeper, der de facto immer mit Prostitution einhergehende Menschenhandel - oder andere Schmuggelaktivitäten - gefördert wird.

Perspektiven

Die vorangegangenen Beispiele sind Vorschläge, wie die Absichten der SR-Resolution 1325 im "Missionsalltag" umgesetzt werden können. Diese Ziele können natürlich nicht von den militärischen Teilen einer Friedensmission alleine erreicht werden. So muss z. B. auch im Bereich der Polizei für weibliche Ansprechpartner gesorgt werden, damit diese zum Beispiel für Vergewaltigungsopfer zur Verfügung stehen. Richter und Staatsanwälte müssen die unterschiedlichen Lebenssituationen von Betroffenen in ihre Beurteilungen mit einbeziehen, und Politiker müssen sich zielorientiert mit den unterschiedlichen Bedürfnissen der Geschlechter - beispielsweise bei Wiederaufbauaktivitäten - auseinandersetzen. Um eine tiefgreifende, geschlechtergerechte Friedensarbeit zu realisieren, müssen von allen Akteuren interdisziplinäre (fachbereichsübergreifende) Lösungsansätze entwickelt und danach auch tatsächlich umgesetzt werden.

Die Ziele der SR-Resolution 1325 an sich zu unterstützen - nämlich Frauen und Männer als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft wahrzunehmen - sollte für alle Menschen, die nach demokratischen Werten leben, (grundsätzlich) außer Frage stehen. Dabei sind vor allem die westlichen Nationen aufgefordert, eine Vorbildhaltung zu übernehmen, damit eine geschlechtergerechte Friedensarbeit entsprechend gefördert werden kann.

Die SR-Resolution 1325 feiert im Oktober 2010 ihr zehnjähriges Jubiläum. Dieser zehnte Jahrestag ist für die internationale Gemeinschaft ein zusätzlicher Impuls, die Umsetzung der Resolutionsziele voranzutreiben. Das zeigt sich vor allem dadurch, dass man sich im Jahr 2009 international sehr intensiv damit beschäftigt hat, die theoretischen Vorgaben der Resolution in der Realität zu erfüllen. Auch die bisherigen Erkenntnisse - die das Erreichen einer effektiveren und effizienteren Friedensarbeit implizieren - sind ein zusätzlicher Stimulus und lassen erwarten, dass diese Umsetzungsbemü- hungen auch in den nächsten Jahren weiter forciert werden.

Das Engagement der österreichischen Bundesregierung, zur Umsetzung der SR-Resolution 1325 beitragen zu wollen, wurde mit dem Beschluss des nationalen Aktionsplanes im Jahr 2007 bewiesen. Auch im aktuellen Regierungsprogramm wird für das kommende Jahr eine Initiative Österreichs angekündigt, sich für eine Überprüfung hinsichtlich der bisherigen Umsetzung der SR-Resolution 1325 zu deren zehnten Jahrestag einsetzen zu wollen. Diese Initiative war auch vor dem Hintergrund der österreichischen Vorsitzführung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein wichtiges Zeichen.

Die unbeirrte Weiterführung der Absichten der Österreichischen Bundesregierung erscheint in jedem Fall auch im Verantwortungsbereich des Österreichischen Bundesheeres unerlässlich. Hier ist vor allem vor dem Hintergrund der ambitionierten, internationalen Vorgaben - z. B. die bereits formulierten Richtlinien zur Umsetzung der SR-Resolution 1325 in EU- und NATO-geführten Missionen - ein weiteres, kontinuierliches Erlangen des erforderlichen Know-hows unerlässlich, um Interoperabilität zu gewährleisten.

Die Kraftquelle zur Realisierung einer geschlechtergerechten Friedensarbeit ist - wie der ehemalige Kommandant der EU-Nordic-Battle-Group Brigadier Engelbrektson betonte - wenn "... die Umsetzung der SR-Resolution von Kommandanten angeregt und gefördert wird". Das heißt, die Realisierung einer genderspezifischen Lagebeurteilung und die Ableitung Maßnahmen muss auch tatsächlich als Top-Down-Prozess verstanden und umgesetzt werden. Zudem sind die Beurteilung und Festlegung von entsprechenden Maßnahmen, die zum Einen den Betroffenen helfen, zum Anderen aber auch Effektivitätssteigerungen im Bereich der Mission bringen, anspruchsvolle Führungsaufgaben.

Die Maßnahmen zur Umsetzung der SR-Resolution 1325 können also nur durch interdisziplinär denkende, erfahrene Führungskräfte eingeleitet werden. Die praktische Umsetzung einer gendergerechten Friedensarbeit ist anschließend eine Verpflichtung für alle an der Friedensarbeit beteiligten Akteure.

Dieser Bericht steht in engem Zusammenhang mit der ersten internationalen Gender Field Advisor Ausbildung.


Autorin: Silvia Angerbauer, B. A., Jahrgang 1968. 2002 eingerückt zum Jägerbataillon 18 in St. Michael; 2007 Ausmusterung als Wachtmeister; derzeit Nachhollaufbahn zum Milizoffizier; Mobfunktion: Offizier für operative Kommunikation im Kommando der 4. Panzergrenadierbrigade; Bachelor-Studium der Betriebswirtschaft am Management-Campus der Fachhochschule Steyr; derzeit Master-Studium "International Marketing Management", seit 2009 Projektkommunikation "Österreich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen" in der Abteilung Militärpolitik/Referat "Vereinte Nationen & Internationale Organisationen. Zuvor Referentin "Marketing" in der Abteilung Personalgewinnung des Heerespersonalamtes; 2009 Ausbildung zum Gender Field Advisor.

Eigentümer und Herausgeber: Bundesministerium für Landesverteidigung | Roßauer Lände 1, 1090 Wien
Impressum | Kontakt | Datenschutz | Barrierefreiheit

Hinweisgeberstelle | Verhaltenskodex