Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001
Dokumenttyp:
Jahrbuch für internationale SicherheitspolitikErscheinungsdatum:
Dezember 2001Preis:
39,90 €Herausgeber:
Sektionschef i.R. Hon.Prof. DDr. Erich ReiterVerlag:
Verlag E.S. Mittler & Sohn GmbHISBN:
3-8132-0778-1Seiten:
1005Autor(en):
Prof. Dr. Hüseyin Bağci, Prof. Dr. Egon Bahr, PD Dr. habil. Hans Günter Brauch, Univ.-Prof. Dr. Rahul Peter Das, MA Alrun Deutschmann, Univ.Prof. Dr. Gerhard Drekonja-Kornat, Mag. Cosima Eggers, Prof. Ing. Ernest F. Enzelsberger, Prof. Dr. Curt Gasteyger, Brigadier Mag. Gustav E. Gustenau, Dr. Mahdi Abdul Hadi, M.A., B.A. Helmoed Romer Heitmann, Dr. Mark A. Heller, Dr. Wilfried A. Herrmann, Professor Bo Huldt, PhD Robert E. Hunter, Dr. Predrag Jureković, Dr. Georg Klute, Prof. Dr. Joachim Krause, Mag. Hendrick Lehmann, Mag. Peter Lehr, Dr. Alon Liel, Bertil Lintner, Dr. Ludmilla Lobova, Prof. Dr. Hanns W. Maull, Dr. Franz-Josef Meiers, Prof. Dr. Anand Menon, Dr. Holger H. Mey, Univ.-Prof. Dr. Subrata K. Mitra, Dr. Kay Möller, General Klaus Naumann, Prof. Dr. Wolf Oschlies, Prof. Dr. Manfred Pohl, Dr. Johannes Reissner, Peter W. Rodman, Dr. Adam Daniel Rotfeld, Dr. Peter Rudolf, Prof. Dr. Lothar Rühl, Dr. Michael Rühle, Hofrat Univ.-Doz. Dr. Erwin A. Schmidl, Prof. Dr. Peter Schmidt, Urs Schöttli, Prof. Dr. Peter W. Schulze, Rüdiger Siebert, Prof. Dr. Kurt R. Spillmann, Prof. Dr. Markus Taube, Prof. Dr.phil. habil. M. A. Stefan Troebst, M.A. Frank Umbach, Dr. Andreas Unterberger, Prof. Dr. Trutz von Trotha, Prof. Dr. Erich Weede, Prof. DDr. h.c. Werner Weidenfeld, Jörg WolfBeiträge in dieser Publikation:
Weiterführende Information:

Vorwort
Vorwort Das Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001 will wichtige globale Entwicklungstrends und sicherheitspolitische Problemstellungen in Schwerpunktartikeln aufzeigen. Je nach Beitrag werden die sicherheitspolitischen Entwicklungen bis Frühjahr oder Sommer 2001 berücksichtigt. Wie die Jahrbücher 1997, 1999 und 2000 richtet sich auch dieser Sammelband gleichermaßen an Fachleute, politische Entscheidungsträger und die interessierte Öffentlichkeit.
Im Sinne einer umfassenden Sicherheitspolitik, die sich als proaktive Politik vorbeugender und vorsorgender Elemente versteht, werden nicht nur die weltweiten geopolitischen und militärischen Entwicklungen angesprochen, sondern auch andere sicherheitsrelevante Trends, Spannungspotentiale und Konflikte. Bevölkerungsentwicklung und Migration, Wassermangel, Umweltschäden, Fragen der Informations- und Energiesicherheit, ungleiche Ressourcenverteilung, kulturelle Konflikte, politische Fragmentierungsprozesse und Demokratiedefizite beeinflussen die sicherheitspolitischen Entwicklungen im engeren Sinn. Alle diese Faktoren entziehen sich einerseits dem Einfluss und der Beherrschbarkeit durch einzelne Staaten, andererseits enthalten sie ein Konflikt- und Gefährdungspotential, das zumindest mittelfristig die Sicherheit der Staaten und ihrer Bürger bedrohen könnte. Globale wechselseitige Abhängigkeiten und Vernetzungen verstärken einzelne Sicherheitsrisiken und reduzieren die Vorhersagbarkeit der weiteren Entwicklung. Auch große räumliche Entfernungen sind heute kein ausreichender Schutz vor möglichen negativen Rückwirkungen, sodass alle Weltregionen, wenn auch graduell unterschiedlich, von den globalen Sicherheitsrisiken betroffen sind.
Prognosen zu Folge wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 um vier Milliarden Menschen zunehmen. Problematisch daran ist aber nicht so sehr die Bevölkerungsexpansion in absoluten Zahlen, sondern die regional ungleichgewichtige Entwicklung. Die Bedeutung des Bevölkerungswachstums wird nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ hinsichtlich der Reichweite der Konsequenzen oft unterschätzt.
Es gefährdet nicht nur die soziale und politische Stabilität bestimmter Regionen und Länder, sondern hat auch Einfluss auf das Machtgleichgewicht zwischen den betroffenen Ländern und den westlichen Industriestaaten.
Die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung wird gravierende globale Machtverschiebungen nach sich ziehen. Die dicht besiedelten Teile Asiens sind zugleich Wachstumsplätze für die Weltwirtschaft, die Weltenergieversorger und die Rüstungsindustrie.
Auch Migration in größerem Umfang kann Konflikte transportieren, fördern oder erzeugen.
Weltweit gab es laut Statistik des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) im Jahr 2000 mehr als 22 Millionen Flüchtlinge (davon rund 7,2 Millionen alleine in Europa) und bis zu 25 Millionen intern Vertriebene.
Ein Produkt der globalen demographischen Entwicklungen mit regionalen Folgen ist auch die zunehmende Wahrscheinlichkeit von Auseinandersetzungen um Wasservorkommen. Heute leiden rund 30 Staaten, insbesondere im Nahen Osten und in Afrika, unter akutem Wassermangel. 1,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, schätzungsweise eine halbe Milliarde Menschen leidet an durch verschmutztes Wasser verursachten Krankheiten. Da Wasserknappheit insbesondere in Regionen mit starkem Bevölkerungswachstum auftritt, werden ohne konsequente wasserwirtschaftliche Maßnahmen bis zum Jahr 2025 achtzig Staaten mit mehr als drei Milliarden Menschen - in Teilen ihres Gebietes und in sehr unterschiedlichem Ausmaß - vom Wassermangel betroffen sein. Der Engpass an Wasser wirkt sich auch auf die landwirtschaftliche Produktion aus. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass in den nächsten 30 Jahren wahrscheinlich 80 Prozent der zusätzlich benötigten Nahrungsmittel mit Hilfe künstlicher Bewässerung erzeugt werden müssen. Entlang der weltweit etwa 240 internationalen Flusssysteme leben 40 Prozent der Weltbevölkerung.
Diese weit über zwei Milliarden Menschen sind bei der Nutzung ihres Wassers auf eine solidarische Kooperation angewiesen, wobei aber gerade in den unterentwickelten Weltregionen entsprechende völkerrechtliche Regelungen zumeist gänzlich fehlen.
Fragen der ökologischen Sicherheit sind eng mit den genannten sicherheitsrelevanten Faktoren verbunden. Die im Gang befindlichen Globalisierungsprozesse tragen zur Veränderung der Umwelt bei, weil sie ohne Sicht für eine ökologische Krisendynamik ein auf Wirtschaftswachstum ausgerichtetes Zivilisationsmuster weltweit zu etablieren suchen. Neben Ozonabbau, Klimawandel oder Verlust der Artenvielfalt betreffen uns auch die Probleme der Wüstenbildung und der Bodendegradation.
Die Sicherheit der Informationssysteme ist ein Anliegen vor allem hoch entwickelter Gesellschaften. Die möglichen Auswirkungen von menschlichen und technischen Fehlleistungen, illegaler Informationsbeschaffung und gezielter Manipulation bis zur Implementierung von Fehlfunktionen mit Daten- und Softwarezerstörung oder gar physischer Hardwarevernichtung sind angesichts der wachsenden Komplexität dieser Systeme kaum abzuschätzen.
Ziele manipulativer Einwirkungen sind auch sensitive Bereiche wie öffentliche Verwaltungs- und Versorgungsnetzwerke, Banken, Medien, Versicherungen, Verkehrsleit- und Transportsysteme sowie militärische Führungs- und Informationseinrichtungen.
Auch wenn die Relevanz von Energiefragen in der sicherheitspolitischen Forschung unterschiedlich bewertet wird, muss auf Probleme und Entwicklungen im Bereich Energiesicherheit hingewiesen werden. Energiefragen werden möglicherweise zu den wichtigen sicherheitspolitischen Zukunftsfragen der asiatischen Pazifik-Region gehören: Der wachsende Energiebedarf Chinas wird die asiatische Energie-Balance grundlegend verändern und die Energieversorgung nicht nur Japans ist von sicherem Seeverkehr abhängig.
Konfliktfördernd ist auf jeden Fall das wachsende Wohlstandsgefälle. Die Entwicklungsländer mit weniger als zwanzig Prozent der weltweiten Wertschöpfung beherbergen vier Fünftel der Weltbevölkerung. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt das Wohlstandsgefälle zwischen den Industriestaaten und den ärmsten Entwicklungsstaaten 123 zu 1.
Arme Länder werden durch Militärausgaben überproportional belastet. Andererseits sind vielerorts Krieg und Verbrechen zur Lebensgrundlage geworden. Neben der zunehmend ungleichen globalen Güterverteilung wird der Wohlstandsgraben innerhalb der Staaten immer tiefer.
Auch kulturelle Differenzen können als mögliche Konfliktursachen nicht aus der sicherheitspolitischen Diskussion ausgeklammert werden. Viele der armen und ärmsten Staaten der Welt richten sich gegen eine von den USA dominierte Welt der -aus ihrer Sicht - globalen Ungerechtigkeit und des ungezügelten Turbokapitalismus. Wenn Huntingtons Überlegung zutrifft, dass die universalistischen Ansprüche des Westens diesen in immer größerem Ausmaß in Konflikt mit anderen Kulturkreisen bringen, dann kann ein globaler Kampf der Kulturen nur vermieden werden, wenn die Politik die unterschiedlichen kulturellen Wertvorstellungen akzeptiert und berücksichtigt.
Im Widerspruch dazu werden Demokratiedefizite als Sicherheitsrisiko bezeichnet. Tatsache ist, dass sich auch nach dem Ende des Kommunismus sowjetischer Prägung der liberaldemokratische Rechtsstaat weltweit noch lange nicht durchgesetzt hat. Erst die Hälfte der Menschheit lebt in demokratisch regierten Staaten und in rund 80 Staaten gibt es anhaltend schwere Menschenrechtsverletzungen mit Todesfolgen.
Im Bereich der militärischen Konflikte ist ein Rückgang der zwischenstaatlichen Kriege und eine drastische Zunahme von Bürgerkriegen zum Teil mit externen Bemühungen um eine Konfliktsteuerung zu beobachten. Die Entstaatlichung des Krieges muss im Kontext des generellen Bedeutungsverlustes der Staaten gesehen werden. Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Terrorismus und die organisierte Kriminalität verdienen in diesem Zusammenhang verstärkt Beachtung. Im technischen Bereich ist eine Verlagerung vom "Kampf der Waffensysteme" zu einem "Kampf der Informationssysteme" festzustellen.
Durch die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ist der Mechanismus der nuklearen Abschreckung immer schwerer zu kalkulieren. Die Zahl der Atommächte ist gestiegen, die Zahl der Länder, die Massenvernichtungswaffen und Trägermittel für diese besitzen, wird weiter ansteigen. Dahinter steht das rationale Kalkül dieser Staaten, der Überlegenheit des Westens im konventionellen militärischen Bereich nur mit unkonventionellen Mitteln begegnen zu können. Aktuell sind weltweit mehr als 25 Staaten im Besitz oder bei der Entwicklung von nuklearen, biologischen oder chemischen Waffen sowie entsprechenden Trägersystemen. Bis zum Jahr 2010 wird nahezu ganz Europa innerhalb der Reichweite von ballistischen Waffen liegen, die außerhalb des Kontinents stationiert sind. Die Bandbreite der durch die Weiterverbreitung solcher Waffen verursachten Risiken umfasst neben dem Aspekt der direkten militärischen Bedrohung die Gefährdung der Interventionsfähigkeit westlicher Streitkräfte, regionale Machtverschiebungen und Instabilitäten sowie die Eröffnung einer neuen Dimension für den Terrorismus. Die USA haben bereits klar zu verstehen gegeben, dass sie ein System der Raketenabwehr entwickeln und installieren werden.
In Europa hat die Debatte über die Chancen und Möglichkeiten einer Raketenabwehr erst zögerlich begonnen.
Die Anschläge in New York und Washington haben auf drastische Art belegt, dass die von Sicherheitspolitikern seit längerem betonte zunehmende Beachtlichkeit des Terrorismus keineswegs überzogen war. Der internationale Terrorismus und die organisierte Kriminalität unterscheiden sich zwar in den Zielen und in ihrem Selbstverständnis, sie sind aber in ihren Organisationsformen überraschend ähnlich und oft eng miteinander verknüpft. Terroristische Gruppierungen und kriminelle Organisationen mit materiellen und finanziellen Ressourcen, die jene mancher Staaten übertreffen, bauen eigene Macht- und Herrschaftssysteme auf. Die Budgets dieser substaatlichen Akteure kommen zum Großteil aus Drogen-, Menschen- und Waffenhandel. Im Jahr 1998 hat der weltweite Drogenhandel mit einem Umsatz von 500 Milliarden US-Dollar bereits den globalen Ölhandel übertroffen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen übertreffen seit einem Jahr die Einnahmen aus dem Menschenhandel wiederum die Einnahmen aus dem Drogengeschäft. Weltweit gibt es geschätzte 500 Millionen Kleinwaffen, die für den Tod von mehr als 4 Millionen Menschen in 49 Konflikten seit 1990 verantwortlich gemacht werden.
Ein Versuch der UNO, dieses Problem in den Griff zu bekommen, ist am Widerstand der USA gescheitert.
Auch am Anfang des 21. Jahrhunderts leben wir - global gesehen - in einer fragilen Friedensordnung. Das Ende des Ost-West-Konflikts und Prozesse der Dekolonialisierung brachten eine Vielzahl von sicherheitspolitischen Akteuren hervor, darunter einige mit geringer Berechenbarkeit. Die einzig verbleibende militärische Supermacht USA ist nicht imstande, alle potentiellen Risiken zu kontrollieren. Außerhalb Europas gibt es vertrauensbildende - und sicherheitsstiftende Institutionen nahezu überhaupt nicht. Den Abrüstungstendenzen in Europa stehen massive Aufrüstungen in anderen Teilen der Welt gegenüber.
Daher ist nicht auszuschließen, dass auch Europa wieder aufrüsten muss. Die Bemühungen um eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik könnten ohne Gefährdung der transatlantischen Verbindungen diese Trendumkehr einleiten.
Eine mögliche Verlagerung der globalen Hauptschauplätze wird ebenso unterschiedlich beurteilt wie die Zukunft von Bündnissen. Das einzige, was mit Gewissheit über die globale Lageentwicklung im 21. Jahrhundert gesagt werden kann, ist, dass sie sich gänzlich von der des 20. Jahrhunderts unterscheiden wird. Gleichwohl muss sich eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik mit dem vielmaschigen Netz potentieller Bedrohungen auseinandersetzen.
Sektionschef Prof. DDr. Erich Reiter Beauftragter für Strategische Studien im Bundesministerium für Landesverteidigung (Wien)